Haushaltsrede der grünen Kreistagsfraktion zum Haushalt 2022

Sehr geehrter Herr Landrat Sievers, sehr geehrter Herr Honikel-Günther, werte Kolleg*innen, liebe Gäste und Zuhörer*innen, liebe Mitbürger*innen im Landkreis Ravensburg,

eine Haushaltsrede Anfang Dezember 2021 zu halten, angesichts sich täglich oder gar stündlich neu darstellender Ereignisse und Verordnungen zum Thema Corona und ebenfalls bald täglich auflaufender Neuigkeiten und Botschaften rund um das Thema Oberschwabenklinik (OSK), ist per se eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Bedeutet eine Rede doch mehr als nur eine weitere Alarmmeldung im unaufhörlichen Nachrichtenfluss, soll vielmehr eine Standortbestimmung mit Rückschau und Blick nach vorne sein, etwas, worauf mehr als nur wenige flüchtige Momente Verlass ist. Ich will für unsere Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen dennoch versuchen, mit dem Folgenden eine zuverlässige Geschäfts- und Arbeitsgrundlage für das Jahr 2022 hier im Kreistag zu schaffen.

Ich möchte unsere Rede heute unter das Leitmotiv „Zusammenhalt“ stellen und hieraus die Forderung zum „Handeln“ ableiten. Eine Form des Zusammenhalts dokumentiert sich übrigens bereits in unserem Parteinamen „Bündnis 90/Die Grünen“ und meint das gemeinsame Handeln der neuen und der alten Bundesländer auf der Basis ökologischer, ökonomischer und sozialer Nachhaltigkeit. Auch der Zusammenhalt von Ost und West ist in den letzten Jahren aus verschiedenen Gründen kein Selbstläufer mehr, bedarf der Pflege und kann uns aus dem Blickwinkel des finanziell gut gestellten Landkreises Ravensburg nicht gleichgültig sein.

Nachdem also Zusammenhalt gewissermaßen bereits in unserer DNA verankert ist, war im Herbst 2019 unser Vorstoß, in der Kreisstrategie ein weiteres Leitziel unter diesem Begriff einzuführen, nur folgerichtig. Der Weg hierzu wurde im zu Ende gehenden Jahr erfolgreich beschritten und dass unser Vorschlag sogar in Form einer „Vision“ die Spitze der Pyramide mit der Zielentwicklung des Landkreises erklimmen durfte, freut uns natürlich besonders. Ob wirklich alle aktuellen Formulierungen der „Vision“ diesen hohen Anspruch an Zukunftsgewandtheit auch erfüllen, darüber lässt sich gewiss trefflich streiten. Wir Grüne werden hierzu im Laufe des kommenden Jahres mit Änderungsvorschlägen im Detail kommen, was mich nicht daran hindert, an späterer Stelle auf die jetzt gültige und veröffentlichte Fassung zurückzukommen.

Die latent in unserer Gesellschaft längst vorhandenen Fliehkräfte hat das Corona-Virus unbarmherzig freigelegt. Der Verlauf des Jahres 2021 erscheint wie eine schwer steuerbare Fieberkurve. Nach einem hoffnungsvollen Start in weltweite Impfkampagnen im Januar folgte die scheinbare Rückkehr in das so heiß ersehnte Leben wie früher und für alle in den Sommermonaten, nun aber in diesem Spätherbst die bittere Erkenntnis, dass eine Impfquote um die 70% eben nicht wie anfangs behauptet eine Herdenimmunität und das Ende der Pandemie bedeutet. Mit voller Wucht ist die Krise zurück und trifft mittlerweile Geimpfte und Ungeimpfte in gleicher Weise, deren zum Teil krass unterschiedliche Befindlichkeiten uns alle auf eine harte Probe stellen. In diesem Moment gilt unser ganz großer Dank all denen, die sich unermüdlich und oft weit über ihre Kräfte hinaus in unserem Landkreis dem Kampf gegen Corona stellten, den Pfleger*innen und Ärzt*innen, den Verantwortlichen in den Gemeinden, den vielen Ehrenamtlichen und nicht zuletzt dem Team um unseren Ersten Landesbeamten Dr. Honikel-Günther, das nach dem Rückzug des Landes in kürzester Zeit zwei neue Kreisimpfzentren in Wangen und Weingarten aus dem Boden gestampft hat. Und wir sagen danke für jedes geduldige und freundliche Wort, das zwischen Menschen fällt, ob sie sich kennen oder nicht, denn es zeigt, dass wir in der Krise zusammenhalten.

Die weitere Entwicklung unserer Oberschwabenklinik hält uns seit etwa Mitte des Jahres in Atem. Während der Sommermonate drangen nur dürre Nachrichten aus dem Aufsichtsrat nach draußen, begleitet von schwer einzuordnenden öffentlichen Stellungnahmen der Geschäftsleitung. Der Druck rasant wachsender Verluste einzelner Häuser und unter dem Strich des gesamten Klinikverbunds, in Zahlen von vor kurzem noch 3 – 4 Mio. € jährlich auf jetzt geschätzte 12 – 13 Mio. €, mache sofortiges Handeln notwendig. Der Umgang mit dem Personal, des alles entscheidenden Pfeilers für einen guten Betrieb der Kliniken, wurde von Betroffenen während der Vakanz offizieller Kommunikation nach außen zumindest als höchstens suboptimal berichtet.

Inzwischen ist der Kreistag auf der Bremse. Ein zweites Gutachten mit mehreren Optionen wird soeben beauftragt, der Kreistag will in angemessener Zeit eine zweite Meinung und zieht das Gesetz des Handelns an sich. Die Optionen schließen notwendige Veränderungen, Anpassungen und Optimierungen der Klinikhäuser einschließlich des Umfelds nicht aus, sie nehmen bestehende ambulante Strukturen und die Notfallversorgung mit in den Blick. Unsere Grüne Forderung nach einer positiv gestalteten Mitnahme des Personals in die Veränderungen, nach einem Change-Management, tauchen im Aufgabenkatalog auf und verlängern sich auf die entsprechende Kommunikation in und mit den Medien sowie allen beteiligten Gremien. Die Überschrift „Zukunftsprogramm Gesundheitsregion Oberschwaben“ macht Mut, wird hier doch endlich deutlich, dass es um die Gesundheit der Menschen in Oberschwaben geht und nicht alleine um die Finanzierbarkeit einer Apparatemedizin, bei der wir langfristig den städtisch-universitären Zentren immer unterliegen müssen. Nein, auch beim Thema OSK geht es um den Zusammenhalt des Landkreises und der Region, mit dem Charme seiner eher urbanen Zentren und seiner großen ländlich geprägten Fläche.

Eine Zusammenarbeit der OSK mit kommerziellen Anbieter*innen in der Region schließen wir Grüne nicht aus, werden aber genau darauf achten, dass sich die Partner*innen nicht die lukrativen „Rosinen herauspicken“, während wir uns den Mühen eines gesamtgesellschaftlichen Versorgungsauftrags stellen, z.B. in der Ausbildung der Pflegekräfte. Und wir fordern, im Sinne einer „Schmerzgrenze“ ehrlich und offen einen Betrag zu beziffern, den uns die Krankenhäuser „in kommunaler Trägerschaft“ und die „breit aufgestellten Gesundheitseinrichtungen“ Jahr für Jahr im Sinne eines öffentlichen Auftrags wert sein sollen. Ich habe übrigens gerade aus unserer „Vision“ Teile des Abschnitts Zusammenhalt zitiert. Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, diesen Zweig der Daseinsfürsorge gibt es offensichtlich nicht mit einer schwarzen Null oder gar mit schwarzen Zahlen und nicht ohne die Hilfe von Land und Bund, weshalb sich der heutige Besuch des Gesundheitsministers unseres Landes Baden-Württemberg hier im Gremium sehr stimmig anfühlt. In gleicher Weise treffen wir hier im Landkreis, natürlich neben dem direkt gewählten Abgeordneten Kollege Axel Müller, Vertreter*innen aller drei die Ampel bildenden Parteien, einen davon sogar direkt im Gremium. Hilfe und Unterstützung auf der politischen Schiene für unseren anspruchsvollen Versorgungsauftrag sollten sie uns mittelfristig nicht verweigern können.

Ich komme zum zweiten Leitmotiv „Handeln“, nicht ohne den Zusammenhalt aus den Augen zu verlieren. Im ersten Halbjahr des Jahres 2021 haben alle Fraktionen, in konsequenter Fortsetzung der stellenweise mühsamen und schmerzhaften Vereinbarungen der Haushaltsstrukturkommission, Schritt für Schritt die „Finanzierungsstrategie 2021 -2031“ erarbeitet, und diese hat der Kreistag im Sommer ganz mehrheitlich als Grundlage unseres Handelns in den nächsten zehn Jahren akzeptiert. Dieses „Jahrzehntpaket“ enthält alle auch aus unserer Grünen Sicht wichtigen Aufgaben des Landkreises, die großen Baumaßnahmen bei den Kreisschulen wie bei den Verwaltungsgebäuden, vor allem jedoch eine angemessene Berücksichtigung der Zukunftsaufgaben insbesondere bei der Weiterentwicklung des ÖPNV und dem Querschnittsthema Digitalisierung. Die Kreisumlage bleibt zunächst in 2022 bei sehr niedrigen 25% und steigt in der ersten Hälfte des Zehnjahresprogramms nur sehr moderat an, erst in der zweiten Hälfte nimmt sie etwas mehr Fahrt auf. Die flankierenden Finanzierungskomponenten der OEW-Ausschüttung und der Grunderwerbssteuer wurden in realistischer Weise mit aufgenommen, letztere bereits im vorliegenden Haushalt dem Immobilienboom entsprechend auf 24 Mio. € angepasst. Die beschlossene Schuldenobergrenze von 105 Mio. € wird jederzeit eingehalten, die Investitionen im Baubereich sind gewaltig und sicher nicht einfach Jahr um Jahr umzusetzen, weisen aber klar in die Zukunft. Beeindruckend fand ich, wie rasch und souverän das Team um Dezernent Franz Baur dem Wunsch nach einer Gesamtschau auch entlang unsicherer Zukunftsprognosen nachgekommen ist. Innerhalb weniger Tage lieferte es einen Korridor zwischen einem „best-case“ und einem „worst-case“ einschließlich variierender Finanzierungsstrategien zwischen Kreisumlage und Verschuldung. Dafür von dieser Stelle nochmals ein Kompliment! Und da wir Grüne allen Krisen zum Trotz nicht wirklich auf einen „worst-case“ fixiert sind und sich die Rechnungsergebnisse traditionell erheblich besser als geplant darstellen, sind wir fest davon überzeugt, dass auch der einzig umstrittene Block künftiger und heute noch nicht absehbarer Freiwilligkeitsleistungen nicht starr auf dem aktuellen Stand kleben bleibt, sondern für notwendige soziale Projekte oder den erweiterten Einsatz im Kampf um die Biodiversität offen ist.

Nach diesem Rahmenüberblick, garniert mit hoffentlich nicht zu vielen Zahlen, möchte ich in die eigentlich entscheidenden „Niederungen“ des Handelns einsteigen, dorthin, wo wirklich etwas passiert, und beginne mit den Aufgabenstellungen, die sich aus dem Ausschuss für Bildung und Kultur (ABK) ergeben. Das umfangreiche Schulbauprogramm des Landkreises ist unterwegs, alleine 22,7 Mio. € sollen im kommenden Jahr investiert werden, davon 4,54 Mio. € für den Neubau der Kreissporthalle in Wangen und nicht unerhebliche Beträge dafür, dass wir unsere Schulen auf den heute erwarteten Stand der Digitalisierung bringen. Dass das Bauen jetzt entlang unserem Leitfaden „Nachhaltiges Bauen“ geschieht, freut uns Grüne sehr und wir erwarten, dass dieser Jahr für Jahr nachtariert wird. Angesichts von Ressourcenknappheit – Stichworte Bauen mit Holz und Verwendung von Recyclingmaterialien – ist auf diesem Gebiet Bewegung entstanden und an deren Spitze müssen wir uns aus Verantwortung vor der Zukunft etablieren. Für die digitale Ausstattung erwarten wir, dass das Konzept für Betrieb, Wartung und Support die Lehrer*innen vor Ort nicht zu selbstverständlich einsetzt und von ihren ureigentlich pädagogischen Aufgaben ablenkt und wir fordern dringend, beim Einsatz der jeweiligen Mittel darauf zu achten, dass die Schere zwischen digitalnahen und digitalfernen Schüler*innen nicht noch weiter aufgeht.

Für das Bauernhausmuseum in Wolfegg hoffen wir auf einen guten Neustart mit dem erhöhten Stellenumfang, diese Bildungseinrichtung des Kreises ist für uns Grüne auch eine gute Chance, das Thema Biodiversität in die Schulen zu tragen. Im Sinne einer besseren Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln plädieren wir dafür, das Bauernhausmuseum mit dem Bahnhof Wolfegg zu vernetzen, was nicht nur im Schulalltag, sondern auch bei den für die Finanzierung des Bauernhausmuseums so wichtigen großen Veranstaltungen gut täte . Dass Achberger Kunst erstmals zum Teil im Hauptgebäude der Kreissparkasse in Ravensburg gezeigt werden soll, freut uns Grüne, weil damit auch dieser wichtige Kulturbeitrag des Landkreises barrierefrei zugänglich sein wird, es wäre schön, wenn sich diese Initiative in den kommenden Jahren verstetigen würde.

Im März dieses Jahres haben wir Grüne einen Antrag gestellt, der letztlich auf eine verstärkte Beteiligung der Jugend an der Arbeit und an den Themen des Kreistages zielte, er wurde an den Jugendhilfeausschuss (JHA) überwiesen. Gewiss ist der Kreistag als relatives Abstraktum weit weg von junger Lebensrealität, vielleicht beim ÖPNV im Alltag noch am nächsten. Eine Projektgruppe für verschiedene Formen der Beteiligung ist entstanden, eine der Aktivitäten war eine Umfrage unter Jugendlichen zum ÖPNV über die Gemeindeblätter, für deren Organisation wir uns bei den Gemeinden bedanken. Leider sind die Ergebnisse bislang noch nicht kommuniziert, sie wären sicher von allgemeinem Interesse. Dass das Wahlalter gerade allgemein auf 16 Jahre gesenkt wird, wird von uns Grünen schon lange befürwortet, weshalb wir uns um diese Altersgruppe auch im Blick auf die nächsten Wahlen noch stärker kümmern müssen und jedwede Aktivität der Projektgruppe weiterhin unterstützen.

Alle bisherige Arbeit der ehrenamtlichen Behindertenbeauftragten im Landkreis Ravensburg möchten wir ausdrücklich loben und dafür danken, dass sie letztlich die anfangs steinigen Wege gegangen sind und heute mit dazu beigetragen haben, dass ihre vielfältigen Aufgaben künftig hauptamtlich weitergeführt werden. Dass die beiden ihre Erfahrungen auch weiterhin in Form eines Engagements im Beirat Inklusion einbringen möchten, freut uns besonders.

In Zeiten anerkannt zunehmender häuslicher Gewalt, leider noch zusätzlich befördert durch die vielfältigen, auf Isolierung dringenden Maßnahmen gegen Corona, sind wir Grüne davon überzeugt, dass der sich darum kümmernde Verein „Frauen und Kinder in Not“ verstärkte und erhöhte finanzielle Unterstützung durch den Landkreis benötigt. Wir sind froh, dass nach einer Reihe von Gesprächen ein gemeinsamer Antrag der Fraktionen – Stichwort wieder: Zusammenhalt – zustande gekommen ist, der für eine verbesserte finanzielle Ausstattung dieses und auch des Vereins „Brennessel“ sorgen wird. Und wir kündigen von dieser Stelle aus bereits an, dass wir bis zum Beginn des Jahres 2023 auch die dringend benötigte Außenberatungsstelle von „Frauen und Kinder in Not“ in Wangen aus ihrer wackeligen Finanzierung über Spenden herausholen und in eine feste, adäquate Bezuschussung seitens des Kreises bringen wollen. An dieser Stelle möchte ich meine Verwunderung nicht verhehlen, wie großzügig unser Gremium gerundete Millionenbeträge für Baumaßnahmen schluckt, während wir uns über mittlere fünfstellige Beträge, die aber für die Betroffenen wichtige Hilfe bedeuten können und gerade einmal die Rundungsdifferenzen bei den Millionen ausmachen, tüchtig die Köpfe heiß reden können.

Der Landkreis hat sich vor einigen Jahren entschieden, keine eigene Wohnbaugesellschaft zu gründen und zu betreiben. Dennoch sollte er unserer Ansicht nach bei diesem Thema nicht völlig passiv bleiben, sondern vor Ort, in den Gemeinden, den sich allmählich und sachte vollziehenden Wandel bei den gewünschten Wohnformen nach seinen Möglichkeiten begleiten und unterstützen. Letztlich sehen wir das in eine Wohnraumoffensive des Landkreises münden, bei der z.B. ein „Sanierungslotse“ als Ansprechpartner*in für Probleme rund um leerstehende oder im Wechsel begriffene Häuser bzw. Wohnungen gerufen wird oder als „Leerstands-Scout“ durch den Gang von Tür zu Tür leerstehenden Wohnraum erst einmal akquirieren kann. Nötig wäre dazu eine Personalstelle beim Landkreis, die im Benehmen mit den Gemeinden aktiv wird, immer im Blick darauf, die Wohnraumnot in unserer Region aktiv und erst einmal flächenschonend anzugehen. Ein schönes Beispiel, wie Fördergelder des Landes gewonnen werden können, bietet das Projekt „Aus Alt mach 2 … und mehr“ der Gemeinde Bodnegg bzw. des GVV Gullen, das umbauwilligen Hausbesitzer*innen professionelle Beratung kostenfrei vermittelt. Wir Grüne werden bei diesem wichtigen Thema im kommenden Jahr nicht lockerlassen, es wird sich etwas tun müssen!

Ich komme zu unserem urgrünen Anliegen, der Ökologie und den Fragen rund um den Klimawandel. Immer wieder bin ich hin und her gerissen zwischen Freude und Verlustangst, wenn ich sehe, dass sich plötzlich alle Parteien dieses Themas bemächtigen. Im Sinne von Zusammenhalt bei diesen Überlebensfragen des 21. Jahrhunderts entscheide ich mich für die Freude darüber, dass es bei allen hier versammelten Parteien und bei der Verwaltung angekommen ist und wir nach dem Reden zum Handeln übergehen wollen. Und ich möchte gewissermaßen im Vorspann an die Worte meiner Vorgängerin Liv Pfluger erinnern, die vor einem Jahr hier konstatiert hat, dass durchgreifende Maßnahmen bei einer schnell um sich greifenden Pandemie plötzlich möglich sind, bei einem aber um vielleicht den Faktor 10 langsamerem Klimawandel herrlich auf die lange Bank geschoben werden können. Ihre Feststellung gilt unverändert und fordert den gesellschaftlichen Zusammenhalt auf ganz besondere Weise heraus, in der Frage der Impfpflicht nur schneller und rabiater als beim Tempolimit auf unseren Autobahnen.

Sehen wir uns also um im Landkreis und freuen uns über Erfolge, über die Verleihung des von uns angestoßenen fair-trade-Labels und die ruhige und souveräne Arbeit unserer Klimaschutzmanagerin Kerstin Dold, über die erneute Goldzertifizierung des Landkreises im Geleitzug mit vielen Gemeinden im Rahmen des European-Energy-Awards, die beständigen Impulse aus unserer Energieagentur und das nimmermüde Antreiben durch deren Chef Walter Göppel. Sehen wir nach dem Beschluss unseres ÖPNV-Konzepts im März dieses Jahres, wie vier weitere zentrale Schnell- und Regio-buslinien in wenigen Tagen ihren Betrieb aufnehmen, vertaktet mit dem Start des Elektrobetriebs auf Süd- und Allgäubahn und puschen wir deren Akzeptanz durch geeignete Öffentlichkeitsarbeit. Und seien wir zuversichtlich, dass eines nicht zu fernen Tages die Bahn, der Bund, das Land oder wer auch immer die im Aulendorfer Bahnhofsbereich fehlende Weiche einsetzen wird, um den bodo-Ringzug seine Runden drehen zu lassen.

Wir Grüne sehen den Radverkehr generell im Aufwind in unserer Region, Fahrräder und immer mehr E-Bikes sind nicht nur touristisch, sondern auch im Berufsverkehr unterwegs. Genau diesen Sektor müssen wir unterstützen, weshalb der Landkreis seinen ganzen Einfluss in die Waagschale werfen muss, um die Hauptachse, den Radschnellweg von Friedrichshafen nach Baindt zur Realisierung voranzutreiben. Dass nach der Einführung des Jobrads und einer erfolgreichen Teilnahme am Stadtradeln auch in die Umsetzung des Radwegeprogramms wieder Bewegung kommt, freut uns sehr. Die Umstrukturierung im Verkehrsamt, vor allem die zusätzliche Stelle bei der Rad- und Mobilitätsplanung samt einer 50%-Stelle zur juristischen Begleitung der Maßnahmen, sehen wir als Zeichen der Verwaltung, dass der „Ball“ der Mobilitätswende von uns und insgesamt aus dem Kreistag bei ihr angekommen ist. Bei der zügigen Nachbesetzung an der Spitze des Verkehrsamts wirken wir gerne im üblichen Maße mit und vertrauen auf ein „glückliches Händchen“ der Verwaltung. Mit diesem von Ihnen, Herr Honikel-Günther, versprochenen guten Team muss der Beschluss für den neuen Nahverkehrsplan im März im Kreistag fallen, wir erwarten, dass wir in dessen letzte Vorbereitungsphase nochmals eingebunden werden, nachdem andere Themen in den letzten Monaten leider diesen wichtigen Meilenstein für den ÖPNV überlagerten. Das Problem fehlender Busfahrer*innen kann aus unserer Sicht auch über eine Initiative des Jobcenters unter Migrant*innen angegangen werden, sehr gerne mit einem höheren Anteil an Frauen als bislang üblich. Ohnehin wäre ein Umschulungs- bzw. Berufswiedereinstiegsangebot für jedermann/jederfrau und eine Kampagne zur Imageverbesserung des Berufsbildes Kraftfahrer*in ein wichtiger Baustein für die Gewinnung der notwendigen Fachkräfte bei unserer ÖPNV-Offensive.

Über die Frage, welches zeitliche Ziel sich der Landkreis zum Erreichen von Klimaneutralität für sich intern setzen soll, wurde dieser Tage im Ausschuss Umwelt und Mobilität (AUM) debattiert. Ein Vorziehen dieses Ziels von der üblichen Marge 2040 auf 2035 oder gar 2030 wurde weniger wegen des täglich geforderten Fuhrparks, sondern wegen des energetischen Zustands der kreiseigenen Gebäude als illusorisch bezeichnet. Nachdem aber das deutsche CO2-Kontingent bei weiterem linearem Verlauf nur noch bis 2035 reicht, wollten wir alle das Pariser Klimaziel der Erderwärmung um nur 1,5° erreichen, sind wir hier im Landkreis für dieses Ziel bereits zu spät dran, wir haben unsere Hausaufgaben zu spät angepackt, als dass sie noch rechtzeitig fertig werden könnten. Wir müssen dies zunächst einmal ehrlich eingestehen, und uns dann mit Tempo ans Nachholen machen. Die Arbeiten an unseren Kreishäusern haben glücklicherweise bereits begonnen, uns ist es ganz wichtig, dass die Teams der IKP einschließlich der Spitze sehr rasch in guter Besetzung ihre Arbeit fortsetzen können, die entsprechenden Mittel sind bereitzustellen.

Für eine Klimaneutralität kreisweit werden neue Photovoltaikanlagen eine ganz entscheidende Rolle spielen, auf Dächern und insbesondere als Freiflächenlagen, kombiniert mit den teils enormen Flächen, die wir bislang für das Parkieren und Lagern bereithalten. Wir Grüne unterstützen alle Initiativen auf diesem Gebiet und erwarten dies auch von der Kreisverwaltung, der nötige „Drive“ aus der Landesregierung ist vorhanden und startet in 2022. Die Idee eines „Solarlandkreises Ravensburg“ wurde von uns bereits angestoßen und muss zum Erreichen einer breiten Öffentlichkeit fortgeführt werden.

Nachholbedarf hat unser Landkreis massiv bei der Nutzung der Windkraft, die für 2022 vorliegenden Anfragen bitten wir zügig zu bearbeiten, unsere Grüne Unterstützung haben Sie! Die Vermischung der Debatte um mögliche Standorte im Altdorfer Wald mit dem laufenden Verfahren um das avisierte Biosphärengebiet „Oberschwäbisches Moor- und Hügelland“ macht uns insofern Sorge, dass damit in der Öffentlichkeit unter Umständen beiden Projekten die positive Wertschätzung abhandenkommen kann, was wir unbedingt vermeiden müssen. Wir brauchen beides: Windkraft und Moorschutz sind letztlich Klimaschutz, und dazu sind wir mittlerweile Kraft Gesetz verpflichtet. Das Land hat seinen klaren Willen erklärt, den Weg zum Biosphärengebiet zusammen mit uns zu beschreiten, womit selbstverständlich die Gemeinden mit ihren politischen Gremien, aber auch wir als Kreistag im Sinne von Zusammenhalt gefordert sind. Die Kreisverwaltung darf demnach den Prozess nicht nur moderieren, nein, sie muss in den jeweiligen Gemeinden selbst aktiv und präsent sein und für unser Projekt werben. Ein Hintertreiben unserer Ideen weit im Vorfeld denkbarer Entscheidungen in den Gemeinden durch Grundeigentümer, Landbewirtschafter und Verbände wie sie zuletzt in schriftlicher Form an die Landesregierung bekannt wurde, ist dabei gewiss nicht hilfreich.

Wir Grüne werden uns weiter für die von Ihnen so bezeichnete Kreislaufwirtschaft engagieren, ein ganz wichtiger Baustein dabei ist das Bauschuttrecycling. Der zugesagten Ausfahrt zu Besichtigung einer bereits funktionierenden Anlage sehen wir gespannt entgegen. Auch im Sinne eines bewussteren Zusammenhalts von Stadt und Land sehen wir alle von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen zum weiteren Ausbau der Bio-Musterregion. Nach unserer Ansicht bringt vor allem das Umstellen von Großküchen auf „bio“ einen Zugewinn, weshalb wir in diese Richtung die Kontaktaufnahme und Bewusstseinsförderung empfehlen. Das Thema Biodiversität ganz stark über die Schulen in eine breite Öffentlichkeit bringen zu wollen, halten wir für den richtigen Weg und wir erhoffen uns für alle genannten Klima- und Umweltfragen einen positiven Schub, indem das Ressort Klimaschutz um zwei Personen aufgestockt wird, vielen Dank dafür!

Lassen Sie mich zum Schluss den Problemkreis Migration aufgreifen. Wie erheblich der neuerliche Anstieg der Zahlen ist, wurde bisher eher zurückhaltend nach außen kommuniziert, was wir angesichts der durch andere Themen aufgeregten Nachrichtenlage für sehr klug halten. Die Kreisverwaltung sucht für die Erstunterbringung ruhige Kontakte in die Gemeinden und hat vorsorglich schon im Oktober beim notwendigen Personal entsprechende Weichen gestellt, eine aus unserer Sicht unterstützenswerte Strategie. An einer Stelle, die wir für sehr wichtig halten, möchten wir zusammen mit anderen Fraktionen noch nachtarieren: den Erhalt einer der auslaufenden Stellen für die Koordination der Sprachkurse für zwei weitere Jahre beantragen wir in einem gemeinsamen Papier.

Ich komme zum Schluss: unter der Voraussetzung, dass unseren beiden gemeinsamen stellenrelevanten Anträgen stattgegeben wird, stimmt die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen der vorgelegten Haushaltssatzung 2022 des Kreistags im Sinne eines gesellschaftlichen Zusammenhalts und einer dringenden Aufforderung, für unser Klima zu handeln, zu.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Tilman Schauwecker, Fraktionssprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Ravensburg, den 9.12.2021