Anhörung der Fraktion GRÜNE zum Psychisch-Kranken-Hilfegesetz

Nach einer Begrüßung durch die Fraktionsvorsitzende Edith Sitzmann erläuterte Matthias Rosemann, Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft Gemeindepsychiatrischer Verbünde e.V. (BAG GPV e.V.), welche Anforderungen das neue Gesetz aus Sicht der Arbeitsgemeinschaft erfüllen muss. Rosemann ging dabei auf das Wesen psychischer Erkrankungen ein und daraus ableitend, auf die Notwendigkeit eines Gesetzes für psychisch kranke Menschen. Als Hauptproblem im bestehenden System sieht er die vielen Leistungs- und Kostenträger, welche die verschiedenen Lebensbereiche abdecken. Zudem sei die Kommunikation zwischen den einzelnen Trägern oft unzureichend. Psychisch kranke Menschen bräuchten Hilfe, die schnell und unbürokratisch, individuell zugeschnitten und auf fachlich hohem Niveau ist. Auf der anderen Seite müsse es auch Hilfsangebote für diejenigen geben, die ihre Krankheit nicht als eine solche ansehen, die sich schämen oder keine Hilfe möchten. Rosemann sieht die Aufgabe des Landes darin, ein zugängliches und transparentes Hilfesystem zu schaffen, welches das Recht auf Selbstbestimmung anerkennt und niedrigschwellig ist. Rosemanns hier dargestellte Auffassung der Problematik wurde von allen Referenten geteilt.

Die Bundestagsabgeordnete und Sprecherin für Prävention und Patientenrechte der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen Maria Klein-Schmeink wies vor allem auf die politischen Baustellen in dem Bereich der Schutzrechte psychisch Kranker hin. Neben der Stärkung der individuellen Hilfen und der Patienten- und Bürgerrechte im Allgemeinen, schlägt sie Maßnahmen wie eine Behandlungsvereinbarung, Beratung durch andere Psychiatrie-Erfahrene und eine bessere Qualifizierung sowohl vom Fachpersonal als auch von den Gerichten vor. Die Länder sind ihrer Meinung nach aufgefordert durch bessere Zusammenarbeit und durch entsprechende Finanzierungsstrukturen solche Maßnahmen zu ermöglichen.

Einen anderen Aspekt beleuchtete der Jurist Dr. Heinz Kammeier. Er beschäftigt sich seit Jahren mit der strafrechtlichen Unterbringung und dem Recht auf Selbstbestimmung und somit mit einem sehr schwierigen Spagat in der Gesetzgebung. Grundsätzlich gelte das Recht auf Selbstbestimmung in jeder Lebenssituation, auch hinsichtlich einer Selbst-Schädigung, solange die Entscheidung dazu in einem Zustand der Einsichtsfähigkeit getroffen wurde. Dabei betonte er, dass es bei der Beachtung des Selbstbestimmungsrechts in der strafrechtlichen Unterbringung darauf ankommt, ob der psychisch Kranke aufgrund seiner Anlass-Krankheit oder einer sonstigen Erkrankung behandelt wird. Begeht ein psychisch Kranker eine rechtswidrige Tat, für den die Krankheit der Anlass ist, und wird als Folge strafrechtlich untergebracht, so ist eine medikamentöse Zwangsbehandlung bis auf wenige Ausnahmen unzulässig. Bei der Behandlung einer sonstigen Erkrankung in der strafrechtlichen Unterbringung ist eine zwangsweise Behandlung nicht zulässig. Dr. Kammeier erläuterte die Ausnahmefälle, in denen eine Zwangsbehandlung angeordnet werden kann. Ebenso wie Frau Klein-Schmeink betonte er die Bedeutung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) für die Schaffung des neuen Gesetzes.

Im zweiten Teil der Anhörung hatten Beteiligte und Betroffene die Möglichkeit die eigenen Erfahrungen mit dem bestehenden System und daraus resultierende notwendigen Anforderungen an ein Gesetz schildern. Das Prinzip des Gehörtwerdens, das die Fraktionsvorsitzende Edith Sitzmann am Anfang bereits hervorhob, fand hier praktische Anwendung.

Rainer Höflacher vom Landesverband Psychiatrie-Erfahrener Baden-Württemberg e.V. (LVPEBW e.V.) sprach eine grundsätzliche Meinungsverschiedenheit innerhalb der Psychiatrie-Erfahrenen bei dem Thema Zwang und Gewalt an. Herr Höflacher plädierte dafür, bei der verstärkten Bedeutung der Selbstbestimmung den Aspekt der Fürsorge nicht aus den Augen zu verlieren. Besonders schwer erkrankte Menschen seien auf Fürsorge und Schutz von außen angewiesen. Der LVPBW e.V. ist der Meinung, dass Zwang und Gewalt in wenigen Ausnahmefällen und als letztes Mittel sinnvoll sein können. Gleichzeitig müsse es hohe rechtliche Hürden für die Anwendung von Zwang und Gewalt geben, die zusammen mit wirksameren Kontrollinstanzen ein Mehr an Patientenschutz gewährleisten. Der Verband schlägt konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Patientenrechte vor, u.a. die Förderung alternativer Behandlungsmethoden bei akuten Psychosen, wie dem Soteria-Konzept und dem Hometreatment. Niederschwellige Beschwerdemöglichkeiten und die Einrichtung einer Zwangsmaßnahmen-Meldedatei sind weitere Anliegen des LVPEBW e.V.

Die Kommunen, vertreten durch Christa Heilemann vom Landkreistag Baden-Württemberg, wünschen sich ein schlankes Gesetz, das sich vor allem auf Regelungen zur Unterbringung und Zwangsmedikation konzentriert, sich ausdrücklich zur Inklusion bekennt , die finanzielle Absicherung regelt und Evaluationsmechanismen klar festhält. Das neue Gesetz müsse die Verfügbarkeit individueller Hilfen sicherstellen und festhalten, wie eine strukturelle Weiterentwicklung der Grund- und Regelversorgung psychisch kranker Menschen aussieht. Detailfragen sollen dagegen in einem flexibleren Landespsychiatrieplan geregelt werden. Dieser beschäftigt sich u.a. mit Fragen zur Prävention, Notfallversorgung, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Partizipation von Betroffenen und Angehörigen. Zum Schluss wies Frau Heilemann noch darauf hin, dass die neuen Aufgaben im Licht der Konnexität betrachtet werden müssen.

Dr. Dieter Grupp, Geschäftsführer des Zentrums für Psychiatrie (ZfP) Südwürttemberg, konzentrierte sich in seinem Vortrag auf die Frage nach dem Anwendungsbereichs des neuen Gesetzes, die Notwendigkeit eines sektorenübergreifenden Hilfesystems und auf die Notwendigkeit einer klaren juristischen und ethischen Richtlinie bei Zwangsmaßnahmen zur Entlastung der Mitarbeiter. Dr. Grupp wies darauf hin, dass die Durchführung von Zwangsmaßnahmen eine extreme Belastung für die Mitarbeiter sei und dass eine adäquate Ausstattung der Psychiatrie ebenso wie klare Regeln bei der Durchführung der Maßnahmen Voraussetzung sein müssen. Offene Fragen sieht Dr. Grupp bei der Investitionsförderung und der Finanzierung einer Unterbringung bei Nichtbehandlungswunsch.

Andrea Krainhöfer von den Sozialpsychiatrischen Hilfen der Bruderhausdiakonie Reutlingen verfügt über langjährige Erfahrung im Umgang mit psychisch Kranken. Wie bereits von meisten Referenten angesprochen, wies sie noch einmal darauf hin, dass ein neues Psychiatriegesetz vor allem auch die Kranken im Blick haben muss, die vorhandene Hilfsangebote nicht in Anspruch nehmen wollen oder können, oder diese aufgrund schlechter Erfahrungen mit dem psychiatrischen Hilfesystem ablehnen. In Fällen, in denen keine Selbstbestimmung mehr möglich ist, sei es umso wichtiger, dass der Staat eindeutig festlegt unter welchen Voraussetzungen ein Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht möglich und nötig ist.

Gerwald Meesmann vom Landesverband Baden-Württemberg der Angehörigen psychisch Kranker e.V. kritisierte die bislang kurzfristige Planung im Gesundheitswesen. Der Verband setzt sich vor allem für mehr präventive Maßnahmen und personenzentrierte Hilfen ein. So sei langfristig nicht mehr Geld nötig, die vorhandenen Finanzmittel müssten nur effizienter eingesetzt werden. Ambulante Maßnahmen, bei denen auch die Angehörigen miteinbezogen werden, seien langfristig wesentlich günstiger, da oft teure Klinikaufenthalte vermieden werden können. Eine sinnvolle Beschäftigung ist ebenfalls ein wichtiger Faktor. Diese wirke oft stabilisierend und vermeide daher Rückfälle. Herr Meesmann betonte zudem die Bedeutung der Angehörigen für die Versorgung psychisch Kranker. Leider fehlen auch hier individuelle Hilfs- und Beratungsangebote, die die Angehörigen bei ihrer Arbeit unterstützen.

Die Vorträge der Referenten sowie die Redebeiträge der Teilnehmer zeigen, dass hohe Anforderungen an ein Psychisch-Kranken-Hilfegesetz gestellt werden, wobei klare Schwerpunkte erkennbar sind. Alle Referenten sprechen sich für individuellere Angebote aus. Die ambulanten Versorgungsmöglichkeiten sollen ausgebaut werden, Hilfsangebote müssen niedrigschwellig sein. Leistungserbringer und Kommunen sollen besser zusammenarbeiten und so die vorhandenen Finanzmittel besser nutzen. Das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben muss in den Mittelpunkt rücken. Die Landtagsfraktion GRÜNE unter Federführung von Manfred Lucha freut sich über die gelungene Auftaktveranstaltung und wird die vielen Impulse in den Prozess aufnehmen.